Das Lösen von Schachaufgaben

Eine Anleitung für Partiepieler

von Hans Klüver, Hamburg

2. Fortsetzung und Schluss

Lösungsmethoden

Die Merkmale und Erkenntniswege, die als Lösungshilfe dienen können, seien hier noch einmal kurz zusammengefasst.

1. Zunächst Schwarz anziehen lassen!

2. "Verräter" aufspüren!

3. Nach "Problemzügen" Ausschau halten!

4. Mattbilder suchen!

5. Aus scheiternden Vorplanzügen die Folgerungen ziehen!
Hier noch einige Beispiele für die Anwendungen unserer Lösungsmethodik und ihre Grenzen. Nr. VIII diente als Preisstück eines Lösungsturniers in der Gruppe für schwierige Aufgaben auf dem Kongress des Schweizerischen Schachvereins in Genf 1951.

Nr. VIII
E. MARMOUD
Schweizerische
Schachzeitung
August/September 1951








#3

Ist die Aufgabe wirklich so schwierig? Der Gedankengang unseres Blitzlösers, der das Stück auf Anhieb durchschaut, wäre dieser: Sofort in die Augen sticht der weitab stehende Lcl. Sein Eingreifen über a3 wird schnell als aussichtslos erkannt. Also hat er auf der Diagonalen cl-h6 etwas zu bestellen! Lassen wir zunächst wieder Schwarz anziehen: 1. ...h4. Wie kommen wir darauf zu einem Abzugsangriff des Lcl auf den sK? Das ginge, da Patt droht, nur mit 2. Ke3 Kxg5. Aber wohin dann mit dem wK? Jetzt müsste 3. Kd3# gehen! Das können wir aber haben, wenn vorher der Td3 sein Standfeld räumt. Wohin ohne Schaden? 1. Tdl! Ein rein passives Manöver, was aber gerade das Reizvolle an der Aufgabe ist. Durch unsere Methode wurde das Stück im Handumdrehen bezwungen

 

Nr. IX zeigte mir ein Schachfreund, der sonst kein schlechter Löser ist,

Nr. IX
M. FORTI
Problemist 1968








#2

mit dem Bemerken, er habe die Aufgabe in einer Viertelstunde nicht lösen können. Wie kommen wir schneller hinter die Absicht des Verfassers? Zunächst lassen wir wieder Schwarz anziehen: 1. .. Txh5 (Fluchtfeldverbau!) 2. Tf4#. 1. ... Sg8 zieht, 2. Sxh6#. 1. ...d3 2. Se3#. Durch diese drei Satzspiele erkennt man, dass die wD zur Deckung des Feldes f5 gar nicht nötig ist. Also hinweg mit ihr! Das um so mehr, als nach Zulassung von 1. ...Kxf5 die Rückkehr Dd7 matt setzen kann. Das alles zeigt deutlich, dass die Dame den ersten Zug macht und den Tf5 preisgibt ("Problemzug"!). Nun aber weiter mit den schwarzen Möglichkeiten. Was müsste auf 1. ...Lxf5 geschehen? Das ist nun wieder klar: da f3/g4/h5 gleichzeitig anzugreifen wären, kommt nur 2. Dd1 oder 2. De2 als Mattzug in Frage. Nach e2 kann die WD in zwei Zügen aber nicht gelangen, wohl aber nach d1 über a4. Also 1. Da4! Und wir haben die Lösung wieder "hintenherum" gefunden und nicht - was ganz erheblich schwieriger gewesen wäre - durch Erkenntnis der "Hinterstellung" der weißen Dame gegen den Kg4, von dem sie auf a4 noch durch drei Figuren getrennt ist. Was folgt nämlich, wenn Schwarz einen anderen Läuferzug als Lxf5 macht? 2. Se3#! Der sehr versteckt liegende Witz der Hinterstellung! Wir haben ihn dem Verfasser abgelistet, indem wir uns die Stellungsmerkmale seiner Aufgabe zunutze machten und uns die Lösung dadurch erheblich erleichtern konnten.

Der "Rätselautor" Fritz Giegold kann in dieser Untersuchung nicht fehlen. Bei einigen seiner Problemknacknüsse lassen sich unsere Lösungsmethoden nur bedingt anwenden, was den Rätselcharakter seiner Aufgaben unterstreicht. Man sehe Nr. X.

Nr. X
FRITZ GIEGOLD
Mainpost 1970








#5

Das Bauernpaar b2/b3 steht zur Verhinderung einer Nebenlösung, was man ja aber zunächst nicht weiß. Aber es gibt einen Anhaltspunkt für die Lösung. Offenbar hat Weiß einen Vorbereitungszug zu machen, um darauf nach 1. ...e6 (mit Pattdrohung) dem Schwarzen einen Zug zu geben, der wiederum dein Weißen zur Mattführung verhelfen soll. Aber weshalb steht der schwarze Tempobauer auf e7? Weshalb hat der Autor ihn nicht eingespart und statt dessen den Bb3 nach b4 gestellt? Das ergibt einen Lösungswink! Die Antwort kann nur lauten: weil der sB von e6 aus weiterschlagen soll! Der "Aha-Effekt" ist also erreicht. Und als Schlüssel kommen somit 1. Tf8 und 1. Td8 in Betracht. Aber das wäre erst der Anfang der Lösung - und nicht einmal mit voller Gewissheit. Opfert sich der wT nun auf der 5. oder 4. Reihe, auf der d- oder f-Linie? Das muss herausanalysiert werden. Jedenfalls wäre es im Sinne unserer Lösungsmethodik wohl zuviel verlangt, im voraus das Mattbild erkennen zu sollen, das der Autor verwirklicht hat. Das muss sich der Löser ohne Leit- und Hilfsmittel selber erarbeiten: 1.Td8 e6 2. Td5! exd5 3. Tf2l (Die erste Vorbereitung des Mattbildes!) dxe4 4. Lxe4 Kxg4 5. Lf5 matt. Überraschend und schwierig! Selbst der nach den ersten beiden Zügen entstehende Dreizüger ist noch schwierig, und viele Löser werden nach versuchsweisem 1. Td8 e6 2. Td5 ed5: wieder von vorn anfangen. Jedenfalls aber konnte der Be7 hier doch einen, wenn auch geringfügigen, Lösungswink abgeben.

In Nr. XI des gleichen Autors

Nr. XI
FRITZ GIEGOLD
H. Klüver gew.
Die Welt 1971








#4

dagegen führt nur der für einen Zug freie Bh4 zu der Erkenntnis, dass Weiß einen Freizug hat, bevor die eigentliche Aktion beginnt. Aber welches ist die Zurechtstellung für einen dreizügigen Schluss? Da ist der Löser ganz auf sich selbst gestellt. Er muss das Matt gesehen haben, bevor er den Schlüssel bestimmt. Das ist in einem Problem selten. Daher unsere Reverenz vor Meister Giegold: 1. Tbl h3 2. Tdl (Eine wirklich sehr versteckte Hinterstellung, getarnt noch dadurch, dass dabei die ganze b-Linie freigegeben wird) Kb4/5/6 3. Tb3+ Kc5 4. d4# (bzw. 3. - Ka4/5/6 4. Tal#).

Ein Meisterwerk des unvergleichlichen Dr. Ado Kraemer soll den Beschluss machen (Nr. XII).

Nr. XII
A. KRAEMER
Die Welt 1949








#4

Auch hier kaum ein Anhaltspunkt oder ein Stellungsmerkmal, das den Weg zur Lösung erleichtern könnte. Aber doch: wer mit 1. ...Kel beginnt und den Schlüsselzug daraus abzuleiten versucht, kann eigentlich nach 2. Dgl+ Kd2 nicht gut an dem "typischen Mattbild" vorübergehen, dass nach 3. Dcl entstehen könnte, wenn die wD dort gedeckt stünde. Also 1. Kbl oder Kb2? Zugegeben, dass darauf 1. ...Tb8+ so abschreckend wirkt, dass unser Versuch, obwohl ein echter Problemzug, wohl von fast allen Lösern sofort wieder fallengelassen wird. Diesen Schock zu überwinden ist eben Sache der Löserintuition. Auch der Löser hat eine schöpferische Arbeit zu leisten, wenn auch in anderem Sinne als der Komponist. Und dieser schöpferische Akt, der im Erringen von Erkenntnissen besteht, kann und soll ihm nicht abgenommen, sondern nur erleichtert werden, 1. Kb2! (Also doch! Es droht 2. Dg2+ 3. Dgl+ 4. Dcl# sowie 3. Sd3+ 4. Dc2#) Tb8+ (Einzige Parade!) 2. Ka3! Te8 3. Sd3 (Droht 4. Df2#) Te2 (Jetzt ohne Schachgebot, was der Sinn des Manövers Ka2-b2-a3 ist) 4. Dhl#. - (Es scheitert 1. a7? an Te5! 2. a8=D Ta5+ 3. Dxa5 patt und 1. Dg2+ an Kel 2. g8=D Te6!) Eines der feinsten Probleme der Nachkriegszeit!

Ich hoffe, mit meinen Ausführungen dem Leser gezeigt zu haben, wie man sich das Lösen von Schachaufgaben erleichtern kann. Die meisten Schachprobleme sind gleichzeitig psychologische Denksportaufgaben, die als solche manchmal ein ähnliches Vergnügen bereiten, wie das Erfassen der Autorabsicht selbst. Bekommt der so geschulte Löser doch durch sein Lösen nach Stellungsmerkmalen zugleich einen Einblick in die Kompositionswerkstatt des Verfassers. Und das Bewußtsein, dem Komponisten "auf die Schliche" gekommen zu sein, sein Problem auf eine Weise gelöst zu haben, die der Verfasser gar nicht gewollt hat, vermittelt ein geistiges Vergnügen eigener Art. Nebenlösungen findet man durch unsere Methode allerdings nicht (da hilft nur geduldiges Probieren). Die Verfasserlösung aber wird durch die indirekte Lösungsmethode in den meisten Fällen schneller gefunden, als wenn ,man rein spielschachlich, ohne sich an den Stellungsmerkmalen zu orientieren, vorgeht. Ganz ohne eigenes Zutun geht es freilich nicht. Und gerade die gefühlsmäßige Erkenntnis ist es oft in größerem Maße als das durch Anwendung von Lösungskniffen Ableitbare, was dem Löser jene innere Befriedigung und geistige Freude vermittelt, die ihn immer wieder dazu führen wird, sich in Schachaufgaben zu vertiefen.

 

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