Schönheit des Schachproblems
Auszüge aus der Einführung zu "Im Bannes des
Schachproblems" von Ado Kraemer und Erich Zepler
Was ist nun unter Schönheit im Schachproblem zu verstehen? Nach welchem
Maßstab soll sie bewertet, nach welchen Regeln empfunden werden? Die Frage ist schwer zu
beantworten, aber schließlich nicht schwerer als die analoge Frage nach der Schönheit
eines Gedichtes, eines Musikstückes, eines Gemäldes. Durch einen solchen Vergleich
wollen wir unsere unbedingte Überzeugung ausdrücken, dass das Schachproblem zur
darstellenden Kunst gehört. Trotz seiner Begrenzungen in Raum und Materie kann ein
Schachproblem genau die gleichen Empfindungen in uns hervorrufen wie ein Buch oder ein
Gemälde wie irgendeine der vielfachen Äußerungen schöpferischen Menschengeistes im
Bereich der schönen Künste. Mit der gleichen Versenkung, mit dem gleichen ästhetischen
Genuss, mit dem gleichen Gefühl reiner Freude können wir uns immer und immer wieder ein
bestimmtes Schachproblem ansehen und es als Kunstwerk empfinden. Wie der Schriftsteller,
der Musiker oder der Maler in ihren Schöpfungen einen seelischen Kontakt mit dem Leser,
dem Hörer, dem Beschauer herstellen, so verknüpft ein geistiges Band den
Problemkomponisten mit dem Löser. Ein solcher Kontakt zwischen Löser und Verfasser einer
Schachaufgabe verlangt natürlich, dass der Löser fähig ist, die Wege des Komponisten
nachzuwandeln und sich von seinem Geiste bezaubern zu lassen. Das erfordert innige
Kenntnis der Materie, Erkenntnis dessen, was der Komponist sagen will, in gleicher Weise
wie auf allen anderen Gebieten der darstellenden Kunst.
Der Löser muss geschult sein im Erkennen reiner Mattbilder, um die Schönheit eines
Problems der Böhmischen Schule empfinden zu können. Er muss geschult sein im logischen
Gedankengut, um ein strategisches Problem in der Schönheit seiner Gedanken zu würdigen.
Und je geschulter er ist, um so größer wird sein Genuss sein. Doch gibt es im
Schachproblem, wie in anderen Zweigen der Kunst, Schöpfungen, die Freude bereiten, ohne
hierzu besondere Schulung vorauszusetzen. Es sind das solche Aufgaben, die nach
Bayersdorfers Worten "eine scharfe Idee in eigenwilliger Stärke" darstellen.
Loyd ist wohl der markanteste Vertreter einer solchen Kunstgattung. ...
Und noch ein wesentliches Moment sei angeführt. Das in unserer Meinung einen
Aufgabenverfasser zum Künstler stempelt. Die Schachprobleme eines großen Komponisten
sind, ebenso wie auf anderen Gebieten der Kunst, so sehr die Träger seines Geistes, dass
es möglich ist aus ihnen ein Bild des ganzen Menschen zu gewinnen. Loyd zum Beispiel
offenbart sich uns als eine kraftvolle Persönlichkeit, voll übersprudelnden Humors,
spontan und doch forschend, großzügig und frei von Vorurteilen. Versuchen wir uns etwas
ein Bild Havels zu machen, so glauben wir nicht fehlzuschlagen, wenn wir einen großen
Ästheten vor uns sehen, einen Menschen von Sensitivität und künstlerischen Feingefühl,
von Selbstbewußtsein und doch von innerer Bescheidenheit. Ein Sinn für Humor in
Loydscher Art scheint nicht aus seinen Problemen zu sprechen.
Das Schachproblem ist also eine Darstellungsform des kunstschaffenden Menschengeistes.
Versuchen wir nun, die Punkte aufzuzählen, die wir in einem Problem als schön empfinden
können, so sind das etwa Kühnheit und Originalität der Idee, überraschender
Lösungsverlauf, Tiefe der Anlage, klare und übersichtliche, zum Lösen anreizende
Stellung, Sparsamkeit des verwendeten Materials, elegante Mattstellungen. "Ökonomie
in Raum, Kraft, Zeit und Zweck". Das bedeutet natürlich ein ständiges Suchen,
Erproben und Feilen, bis die endgültige, dem Thema und der Eigenart des Komponisten
entsprechende Form gefunden ist. "Schöner Inhalt in schöner Form" stellt F.
Palitzsch in den Deutschen Schachblättern 1911 als die Merkmale eines Schachproblems
heraus, das Anspruch erhebt, als Kunstwerk gewertet zu werden. Gewiss, man wird nur selten
alle oben angeführten Momente in einem Problem vereinigen können oder selbst vereinigen
wollen. Elegante Mattbilder vertragen sich häufig nicht mit Ideen von elementarer
Stärke. So hat sich die Böhmische Schule durchaus zu Recht darauf beschränkt, unter
Verzicht auf strategische Momente die Reinheit des Mattbildes zu pflegen, und diese
zusammen mit anderen formale Werten zum Grundstein ihres Maßstabes zu machen. Wenn
gelegentlich strategische Momente auftreten, so sind sie mehr Mittel zum Zweck und stellen
einen Hintergrund dar, auf dem sich das Problemgeschehen zu voller Pracht entfaltet.
Umgekehrt lassen sich in strategischen Problemen reine Mattbilder nur selten mit wuchtigen
und tief angelegten Vorwürfen verknüpfen. Sie geben dem Problem leicht etwas zierliches
und fremdes, etwas das nicht in den Vorwurf hineinpaßt, das "aus dem Rahmen
fällt". Erweisen sich gar solch reine Mattstellungen als Verräter der Lösung, so
halten wir sie direkt für einen Mangel.
Man wird uns hier nicht missverstehen. Wir sind die letzten, die einer Vernachlässigung
der Form das Wort sprechen werden. Ganz im Gegenteil. Wir wissen, dass die Bedeutung guter
Konstruktion gar nicht stark genug betont werden kann. Wir wollen lediglich warnen vor
einer schablonenmäßigen, schematischen und darum oberflächlichen Auffassung
fundamentaler Grundsätze, vor einer Handhabung, die dazu führt, dass Aufgaben von einer
erschreckenden Blutleere, schematisch mach reinen Mattbildern abgezählt, in Turnieren vor
wirklich guten Aufgaben gedanklichen Inhalts rangieren.
Unser Rat für Problemkomponisten ist etwa der folgende: Sofern ein Problem geschaffen
werden soll, das durch die Schönheit seiner Mattbilder wirkt, so mache man sich den
Maßstab der Böhmischen Schule zu eigen. Man strebe nach guter Stellung und gutem
Schlüssel, nach Ökonomie und Eleganz, und natürlich nach schönen, reinen
Mattstellungen. Dass in diesen Mattstellungen keine weißen Steine müßig stehen sollen,
ist eine natürliche Folgerung des Ökonomiegesetzes. Jedenfalls gebe man sich nicht
zufrieden, bis man überzeugt ist, aus der Stellung in dieser Hinsicht das Letzte
herausgeholt zu haben. Keinen Besseren können wir hier als Vorbild nennen als M. Havel,
den großen tschechischen Problemkomponisten und unübertroffenen Künstler.
Will man ein strategisches Problem schaffen, so strebe man nach Tiefe, nach Originalität,
aber ebenso nach Schönheit der Konstruktion. Die Lösung soll verborgen sein, aber man
soll der Aufgabe die Schwierigkeit nicht von vornherein ansehen. Schwere überladene
Stellungen, besonders in vielzügigen Problemen, schrecken den Löser ab und rufen leicht
ein Gefühl des Unbehagens hervor. Wir stimmen Herbert Grasemann durchaus zu, wenn er bei
Besprechung des schwierigen Siebenzügers bemerkt:
AdoKraemer &
HerbertGrasemann
Deutsche Schachhefte1950
Alain C.White gewidmet |
"Dieses Problem stößt bis zur Grenze des konstruktiv Möglichen und für das
Publikum Erträglichem vor." Nur ein sehr starker Inhalt wird uns mit seinem solchen
zuerst als Schwäche empfundenen Aufbau aussöhnen, nur das Gefühl, dass eine bessere
Form nicht möglich ist. Erst wenn das Problem bis zum äußersten gefeilt ist, erst wenn
der Komponist überzeugt ist, die "Letztform" gefunden zu haben, darf er hoffen,
dass sein Problem mehr als Tageswert besitzt. ...
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