Berlinthema und Zugzwang

Bruno Fargette
100 Jahre Deutscher
Schachbund 1977
4. Preis








#6

Lassen Sie sich einmal auf den Weg zur Lösung dieser Aufgabe führen! Die schwachen Punkte der schwarzen Stellung (c5, b6, f6) sind knapp, aber ausreichend gedeckt, da man nach 1. Txd8? Kc6 oder 1. Sg4? Ke4 den schwarzen König offenbar nicht mehr rechtzeitig einfangen kann. Also muss seine Majestät der weiße König sich ins Gefecht bemühen. 1. Kc2?! Scd4+? 2. Kd3 und Schwarz kann nichts mehr tun. Na, denkt der Löser, das haben wir gleich, andere schwarze Züge (z.B. 1. ... Sa1+ oder a3) sehen ja noch schwächer aus. Schwarz zieht aber 1. Kc2? g4 2. Kd3 Sc1+ (aber bitte, wer hat denn schon was gegen Racheschachs?!) 3. Ke3 Lg5+. Pardauz, Weiß ist Matt! Das passiert ihm selten im Problemschach. Nun ist guter Rat teuer. Zum Glück gilt bei den Schach aufgaben die Regel Berührt-geführt nicht, und man kann zurücknehmen. In dieser Aufgabe ist nun erstmalig die Idee gezeigt, dass das von Schwarz vorbereitete Mattnetz durch Zugzwang eine Laufmasche bekommt, ein Loch auf f3, durch das der weiße König entkommt, so dass die schwarzen Schachs tatsächlich nur noch Racheschachs werden. Das führt zu dem Glanzschlüssel, in dem sich seine Majestät der weiße König wahrer Vornehmheit und Zurückhaltung befleißigt. 1. Kb1 g4 2. Kc2 g3 3. Kd3 Sc1+ 3. Ke3 Lg5+ 5. Kf3 Ld8 6. Tc5# Ist das nicht geistvoll?
Der Preisrichter kann nicht verschweigen, dass nahezu dieselbe Stellung von Bruno Fargette in Thèmes 64  Okt-Dez. 1976


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veröffentlicht wurde (Leider bin ich nicht im Besitz dieses Artikels. Ich würde mich freuen, wenn zufälligerweise ein Leser, der das Heft Thèmes 64  Okt-Dez. 1976 besitzt,  mir eine Kopie der entsprechenden Seiten zukommen lassen könnte) und zwar anlässlich einer Polemik  gegen das Urteil zum Thematurnier der Deutschen Schachblätter über das Berlinthema. (Polemik macht das Leben erst schön, sofern sie sachlich bleibt und andere Standpunkte nicht disqualifiziert werden). Nun ist die Stellung aus Thèmes 64 wohl nebenlösig, und zwar gerade durch die Lösung dieser Neufassung. Das hat anscheinend vorher niemand gesehen, wahrscheinlich weil die Aufgabe in einem Aufsatz und nicht als zur Lösung gestellter Urdruck erschien.

Bruno Fargette
Thèmes 64
Okt-Dez. 1976








#7

Die Autorlösung ist dort 1. Kc2 ( droht 2. Kd3 Sc1+ 3. Ke3 Lg5+ 4. Kf3 hxg4+ 5. Kg2 ) 1. Kc2 hxg4 2. Kd3 Sc1+ 3. Kd2 Sb3+ 4. Ke3 Lg5+ 5. Kd3 Sc1+ 6. Kc2 Es sollte wohl 1. gxh5? an 1. ...g5?! scheitern (2. Kc2? g4), aber es ist 2. Kb1 möglich. Erstmalig in der Geschichte des Kunstschachs tritt so prägnant der Fall auf, dass eine Nebenlösung den eigentlichen Gedanken verbessert und in unnachahmlicher Klarheit herauspräpariert! Da die vorliegende Aufgabe so hohe individuelle Qualität hat, konnte sich der Preisrichter nicht zu einer weitergehenden Degradierung entschließen. Er ist allerdings in ziemlicher Verlegenheit und hätte die Aufgabe lieber in einem Informalturnier, mit klargelegter Vorgeschichte, angetroffen. Hier kann nach seiner Meinung die Entdeckung des Schlüssels mit Zerstörung des Mattnetzes durch Zugzwang als preiswürdige Leistung betrachtet werden.

( Hans Peter Rehm im Preisbericht 100 Jahre Deutscher Schachbund)

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