Schönheit der Schachaufgabe
1. Teil
Schachphilosophische Skizze von W. Maßmann, Kiel.
SCHACH KONGRESS TEPLITZ SCHÖNAU 1922 (368 - 385)
I "Es gibt keine Kunst, in welcher die Ansichten über schön und
häßlich, über gut und schlecht mehr auseinandergehen, als in der
Problemkomposition." So beginnen Kohtz und Kockelkorn die Einleitung zu den "101
ausgewählten Schachaufgaben". Und wie es damals war, im Jahre 1875, so ist es noch
heute. Die verschiedenen Richtungen und Schulen streiten sich darüber, wer die schönsten
Aufgaben mache, und häufig leugnet die eine die Existenzberechtigung der anderen. So
kommt denn der Aufgabenfreund ganz von selber in die Verlegenheit, über den Wert zweier
Aufgaben entscheiden zu müssen. Deswegen dürfte es wohl der Mühe wert sein, zu
untersuchen, von welchen Gesichtspunkten wir uns in unserem Urteil leiten lassen sollen,
auf dass wir erkennen, wem wir in den verschiedenen Streitigkeiten recht geben müssen.
Am nächsten liegt es nun, nach dem Vorgange Gehlerts aus der Begriffsbestimmung der
Aufgabe die Wertmaßstäbe zu entnehmen. Dass ein solches Verfahren für uns nicht
brauchbar ist, wird eine kurze Kritik der Definitionen von Schachaufgaben zeigen, die für
ein derartiges Vorgehen aufgestellt sind. Gehlert versteht unter Schachproblem "das
Kunsterzeugnis einer Mattführung aus freigewählter Stellung in bestimmter
Zügezahl". Aus der Forderung, dass die Aufgabe ein Kunsterzeugnis sein solle, wird
das Ökonomiegesetz abgeleitet. Dagegen machen wir geltend, dass es auch Aufgaben gibt,
die nicht "Kunsterzeugnisse" sind, die in jeder Weise gegen das Gesetz der
Sparsamkeit verstoßen, die aber nichtsdestoweniger Aufgaben bleiben. Ebenso ist es mit
der Klettschen Begriffsbestimmung. Wenn Klett sagt: "Das Problem legt uns in selbstständiger
Darstellung kurze und entscheidende, dabei aber besonders gehaltvolle und schöne
Endkombinationen vor, so kann man darauf erwidern, dass die Schönheit kein Kennzeichen
der Aufgabe sei, denn es gibt auch häßliche Aufgaben, die aber gleichwohl Aufgaben sind.
Ebenso lässt sich der Beweis führen, dass Schwierigkeit nicht unbedingt zum Begriff der
Aufgabe gehört; denn es gibt auch leichte Aufgaben. Wir sehen also, dass die Forderungen
der Schönheit, Vollkommenheit und Schwierigkeit nicht im Begriff der Aufgabe enthalten
sind. Eine Schachaufgabe ist lediglich die Darstellung einer Mattführung in bestimmter
Zügezahl, welche Definition zum größten Teil mit der Loydschen zusammenfällt. Diese
Definition besagt, wie man sieht, nichts über den Wert der Aufgabe. Es ist vielmehr so,
dass wir mittels unseres Denkens verschiedene Forderungen an die Schachaufgabe
herantragen, nämlich die Forderung der Schwierigkeit, die Forderung der Vollkommenheit
und die Forderung der Schönheit. Alle drei Forderungen sind voneinander völlig
unabhängig. Dass die Schwierigkeit mit den beiden anderen Forderungen wenig zu schaffen
hat, ist ziemlich allgemein anerkannt. Zwar meint Loyd, dass Schönheit und Vollkommenheit
sich am besten als mit möglichst wenig Steinen erreichte Schwierigkeit bestimmen lassen;
dem ist aber hinsichtlich der Schönheit auf keinen Fall beizutreten, wie aus den noch zu
gebenden Ausführungen über den Begriff der Schönheit einleuchten wird. Gehlert aber,
sowohl wie Kohtz, trennen die Schwierigkeit und Schönheit voneinander, und es wird an
zwei Beispielen leicht einleuchten, daß beide ganz unabhängig voneinander zu werten
sind.
Nr.1 hat z.B. einen Spezialpreis für seine Schwierigkeit erhalten und weist in der Tat
einen nicht geringen Grad von Schwierigkeit auf.
Nr. 1. H. Jonsson
"Jenowiness-News"
Turnier 1889
Spezialpreis |
1. Lxg5 (Zugzwang) Sf4 2. Dxe6+ Kxe6 3. Te7#
Von besonderer Schönheit kann aber nach unserem Geschmack bei diesem Stück nicht die
Rede sein. Anders dagegen bei Nr.2. Das Stück ist von erfrischender Schönheit, während
es dem Löser fast gar keine Schwierigkeit bietet.
Nr.2 G. Ernst
More white Rooks 1911 |
1. Tg1 Le4+ 2. Kh2 g3+ 3. Kh3 Lf5+ 4. Kh4 g5+ 5. Kh5
Lg6+ 6. Kg4 Lf5+ 7. Kf3 Le4+ 8. Ke3 gxf4+ 9. Kd2
Da also, wie wir gesehen haben, Schönheit und Schwierigkeit nicht
durcheinander bedingt sind, wir in unseren Ausführungen aber nur von der Schönheit
handeln wollen, brauchen wir die Schwierigkeit nur nebenbei zu berücksichtigen. Wir
können uns in der Hauptsache dem Verhältnis von Schönheit und Vollkommenheit widmen.
Bevor wir nun die Bedeutung dieser Begriffe für die Schachaufgabe näher darlegen
können, sehen wir uns gezwungen, ihre Unterscheidung philosophisch zu fundieren Wir
wissen, dass derartige, nicht konkret schachliche, Untersuchungen durchaus geeignet sind,
unsere Leser zu langweilen. Wir werden uns deswegen so kurz wie möglich fassen und uns
auf die Erörterung philosophischer Streitfragen in keiner Weise einlassen. Notwendig ist
die genaue Bestimmung beider Begriffe, weil gerade ihre Verwechslung viel Unfrieden in der
Problemwelt gestiftet hat.
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