Eine kleine Geschichte des Schachproblems
3. Fortsetzung und Schluss

Essay von Herbert Grasemann aus Problemjuwelen 1964

die Geistesblitze eines Sam Loyd (Nr. XVI)

XVI Samuel Loyd
New York Clipper 1856








#4

1. Dg1 (Rückstoß der schweren Figur zur Linienverdoppelung durch die leichtere 2. Lf2 3. Lxb6 4. Dc5 Urbild des Loyd-Turton

und die tief angelegten Planstaffelungen des Österreichers August von Cywinski de Puchala (Nr. XVII).

XVII August von
Cywinski de Puchala

Illustr. Familien-
Journal 1858








#4

1. Sxf6?
1. De4 fxe4 2. Ta3 Dxa3 3. Sxf6 4. Lg4#
Wie bei diesen Meistern sollte wieder ausschließlich der Wille des Komponisten, nicht der Zufall in der Stellung bestimmend sein, sollte die Form sich wieder dem Inhalt - der Idee - anpassen, nicht aber umgekehrt. Der von ihnen bestellte Acker mannigfaltigster Kombinationsmotive, der so lange brachgelegen hatte, wurde endlich intensiv weiterbearbeitet. Die Ernte war und ist noch heute außerordentlich. Bergers Befürchtung, die Abkehr von seinen Formvorschriften würde einem künstlerischen Vandalismus Tür und Tor öffnen, hat sich jedenfalls nicht bestätigt. Im Gegenteil:
Größere Klarheit im Gedanklichen, schärfere Prägung des Ausdrucks und strengere Selbstzucht im Formalen als in den nach 1903 entstandenen Werken der Kohtz und Kockelkorn (Nr. XVIII)

XVIII
Johannes Kohtz
Carl Kockelkorn

Deutsches
Wochenschach 1916








#5

1. Kg3 f6 2. La7 Ke5 3. Lg1 Ke4 4. Lh2 Ke5 5. Kf3#
Umgehungs-Inder = Herlin

oder eines Walther von Holzhausen (Nr. XIX)

 

XIX Walther
von Holzhausen

Deutsches
Wochenschach 1916








#3

wird man anderswo nur selten antreffen.
1. Tf7 Tbel 2. DxT Kxa2 3. Da8#, 1.... Txa8 2 bxa8=L/S K:a2 3. Ta7 1. Tf8? Txa8

Diese drei Namen, dazu der des Deutsch-Schweizers Erich Brunner (Nr. XX)

XX Erich Brunner
Deutsche
Schachzeitung 1935








#3

müssen auch vor allen anderen genannt werden, wenn von einer grundlegenden Theorie der Neudeutschen Schule die Rede ist. Sie kreist im wesentlichen um zwei Begriffe: "Logik" und "Zweckreinheit". Unter dem logischen Aufbau eines Problems versteht der Neudeutsche die Erscheinung, daß der Lösungsablauf in zwei oder mehr ,,Pläne" gliederbar ist und daß sich die einzelnen Glieder mittels logischen Schlusses zum Ganzen fügen lassen. Dabei soll der Betrachter unweigerlich zur Erkenntnis der gedanklichen Zusammenhänge gedrängt werden, also dessen, was dem neudeutschen Autor hauptsächlich am Herzen liegt und was er besonders sorgfältig, scharf und unmißverständlich auszudrücken bestrebt ist:

die strategische Idee in all ihrer Einheitlichkeit und Einprägsamkeit. Jener Teil der Lösung, der dieses Kernstück seiner Absicht umschließt zumeist ein vorbereitender aber modifizierender Plan, soll daher nach neudeutscher Auffassung "zweckrein" dargestellt sein. Das bedeutet der allgemeine Grundsatz der Ökonomie wird nicht mehr allein auf die Elemente Kraft Zeit und Raum bezogen, sondern auch und vor allem auf die Begründung der Planfolge, auf die Motivierung des entscheidenden Manövers in Nr. XIX zum Beispiel verdient der Zug 1. Tf7 vor ähnlichen Manövern wie 1. T-f3/4/5/6? einzig und allein darum den Vorzug, weil der Turm für den Fall 1.... Tg8 2. Dxg8 Kxa2 3. Da8 vorsorglich die Schräge g8/a2 sperren muß. Täte er dies nicht so könnte Weiß im zweiten Zuge den schwarzen Turm wegen Patt nicht schlagen und käme nicht zum Ziel. ln Nr. XX anderseits ist es notwendig, den Plan 1. Dxb3 2. Db7 gegen die Verteidigung 1.... Tb2 zu sichern, indem man mittels 1. Dg8 (2. Dc8) Th8 den Turm vorbereitend so lenkt daß er nach 2. Dxb3 anstelle der guten Parade Tb2 die analoge minderwertige Verteidigung 2. ... Tb8 vorfindet, die zur Fluchtfeldblockade und der Mattnutzung 3. Da4 führt. Einzig und allein um dieser für Schwarz schädlichen Turmbewegung willen muß Weiß seinem geplanten Angriff das Manöver 1. Dg8 Th8 voranstellen.
(unlösbar nach 1. Dg8 Lf8 Wahrscheinlich fehlt in meiner Vorlage ein schwarzer Bauer e7. Kann jemand mal in der Originalquelle nachschauen?)

Zweckreinheit heißt also das Gebot der Neudeutschen. Wie aber stehen sie zur Mattreinheit? Es gibt wie gesagt Stimmen, die eine Koppelung dieser beiden Erscheinungsformen des Ökonomieprinzips für allgemein nicht empfehlenswert halten. Sie finden, das fein ziselierte Mattbild passe in seinem Charakter nicht recht zu der kraftvollen Dynamik des ldeenproblems. (So argumentierte Ado Kraemer mit dem hübschen Vergleich vom Eisbein mit Schlagsahne.)

Andere meinen, daß es sich hierbei nur um eine Frage des persönlichen Stils handelt, nicht aber um eine Grundsatzfrage der Schule. Sie sehen in der Mattreinheit einen Ausdruck ökonomischen Bestrebens, sie gilt ihnen gleich viel wie die Ökonomie von Kraft, Raum und Zeit. Oberstes Prinzip für das neudeutsche Ideenproblem aber bleibt, allgemein anerkannt die Ökonomie der Gründe, aus denen gehandelt wird, eben die Zweckökonomie oder Zweckreinheit. Eine Gefahr allerdings ist groß: Der Reiz, den Logik und Zweckreinheit auf den Verstand ausüben, kann den neudeutsch Komponierenden leicht dazu verleiten, allzu nüchtern und sachlich zu sein und die künstlerische Wirkung seines Werkes zu vernachlässigen. Daß man an dieser Klippe durchaus nicht zu scheitern braucht, zeigen die Beispiele dieses Buches zur Genüge.

Rückschauend ließe sich ab Stamma die Linienführung in der Entwicklung des drei- und mehrzügigen Schachproblems sehr summarisch und vergröbert so nachzeichnen: Zunächst langatmig und für heutige Begriffe inhaltlich mager, wurde es dann kürzer und dichter, ging in die Breite, komprimierte sich zu knappem Ausdruck scharf erfaßter Ideen; in jüngster Zeit dehnt es sich offenbar wieder aus, ohne indes an Tiefe, Dichte und Schärfe einzubüßen, Angesichts der enorm sich steigernden Konstruktionskraft und -technik ist ein Ende nicht abzusehen. Wenn man auch heute, um einen Edelstein zu finden, nicht mehr einfach mit Hacke und Spaten ausziehen kann, sondern in langwieriger Forschungsarbeit sein Glück suchen muß, so ist doch völlig sicher, daß auf den ernsthaft und beharrlich Strebenden noch viele schöne Abenteuer und Entdeckungen warten. Denn: Das Schachproblem, so alt es ist - als bewußt empfundenes und gestaltetes Kunstwerk steht es erst am Anfang.

 

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