1.Fortsetzung
Poesie auf einem Brett

Problemschach als ästhetischer Ausdruck
Bo Lindgren - Stockholm

Bo Lindgren Innerhalb der Problemkunst erlebt man die selben Krisen, wie innerhalb der anderen Kunstarten, die gleichen Prinzipdiskussionen über Ziel und Meinung der Kunst, die gleichen für alle Kunstinteressierten wohlbekannten Argumente werden vorgeführt. Solche Diskussionen hat es zum Beispiel in der Böhmischen Schule gegeben, die die Betonung auf das lyrische und ästhetische legt, auf die Schönheit der Form, entsprechend klassischem Ideal oder in der Neudeutschen Schule, die im Gegensatz zur Böhmischen Schule klar intellektuell ist, mit Linien, Blockaden, Verstellungen, Fesselungen, sogenannten kritischen und antikritischen Zügen und einem einheitlich durchgeführten strategischen Inhalt arbeitet, in der das Ästhetische vor der Ideenreinheit zurückstehen muss. Ebenso im modernen Zweizüger, der meistens mit einem mehr oder weniger komplizierten Linienspiel, mit thematischen Verführungen, thematischen Satzspielen der beabsichtigten Lösung voraus arbeitet, und dessen Inhalt mit der sogenannten Dualvermeidung, mit zyklischen Elementen, Mattwechseln usw. unter strengen Forderungen der kompositionellen Gesamtheit geformt wird. Dann das Märchenschach, die größte Gruppe, die mit einer von den orthodoxen Spielregeln abweichenden Spielführung auf die Weise arbeitet, dass z.B. die Gegner statt sich zu bekämpfen sich gegenseitig helfen, den schwarzen König matt zu setzen, das wäre dann ein sogenanntes Hilfsmatt, in dem wenn nicht anders vorgeschrieben Weiß Schwarz matt setzt; oder dass jeder der Partner gezwungen ist den Gegner bei erster sich bietender Gelegenheit matt zu setzen (das nennt man Reflexmatt), oder die Abart des Märchenschachs, in dem Schwarz jedesmal seinen geometrisch längsten Zug ausführen muss (Maxinummer oder Längstzüger genannt), oder Endspiel mit der Forderung "Weiß zieht und gewinnt" oder "Weiß zieht und hält Remis", in denen die Russen zur Zeit Interesse an sublimen Formen des positionellen Remis zeigen, die von den klassischen realistischen Studien fern sind, die direkt vom Spielschach inspiriert wurden und im Allgemeinen listige Figurenfänge, oder ein paar elegante Damenopfer zeigten usw.; oder die Retroanalyse, die mit Stellungen arbeitet, aus denen man nachweisen kann, dass ein gewisser Zug zugelassen, oder nicht zugelassen ist; oder das Asymmetrieproblem, das in der Diagrammstellung eine symmetrische Aufstellung zeigt, das aber eine unsymmetrische Lösung besitzt; oder die sogenannte Seeschlange, ein Problemtyp von bis zu hundert Zügen, in welchem sich Weiß (oder Schwarz) um ein Tempo zu gewinnen mit Hilfe von langen Zugserien, die sich periodisch wiederholen, Schritt für Schritt vorwärts arbeitet; oder das Selbstmatt in welchem Weiß die Mattsetzung seines eigenen Königs erzwingt; dieser Problemtyp ist schon seit über hundert Jahren Gegenstand des Interesses, hat aber noch große Möglichkeit zur weiteren Entwicklung, oder schließlich noch viele übrige Gebiete des Problemschachs.
Die einschlägige Literatur wächst schnell, und heute erfordert es schon eine volle Beschäftigung nur eines der oben genannten Gebiete zu bewältigen. Es ist daher verständlich, dass ein Problemist, der sich einer speziellen Problemgattung widmet, bloß ausnahmsweise Probleme einer anderen Gattung komponiert. Die rein technischen Schwierigkeiten legen ihm Hindernisse in den Weg. Laßt uns einen Vergleich machen: ein Schriftsteller weiß, dass seine Sprache sich am Besten dem Genre anpaßt, in welchem er sie entwickelt hat. Der Romanschriftsteller merkt Schwierigkeit, wenn er für die Bühne schreibt und vice versa. Es braucht aber nicht so zu sein. Beckett, Sartre, Camus, Lagerkvist und eine Reihe anderer Schriftsteller waren sowohl als Dramatiker wie auch Romanschriftsteller erfolgreich. Es sieht indessen so aus, als wären einige Kombinationen glücklicher als andere. Dramatik und Poesie z.B. scheinen im Einklang zu sein. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es bloß ein historisches Phänomen ist, es ist aber auch eine Tatsache, dass fast alle großen Dramatiker bis zur Gegenwart erstklassige Dichter waren. Innerhalb der Problemkunst kann man ähnliche Beobachtungen machen. Die meisten Zweizügerspezialisten zeigen Anpassungsschwierigkeiten, wenn sie Probleme in drei oder mehr Zügen komponieren. Man merkt es Ihnen meistens an, dass sie sich von ihrer Zweizügertechnik nicht befreien können, was zur Folge hat, dass ihre Probleme überladen werden. Natürlich bewegt sich der Problemkomponist in einer weniger komplizierten Sphäre von Kategorien als ein Schriftsteller, aber sie sind genau so wesentlich für ihn, wenn er am Brett sitzt. Die Leistungen aber können und dürfen nicht verglichen werden, denn das Kunstwerk bekommt seinen endgültigen Wert in einem größeren sozialen Zusammenhang, und da gehört das Schachproblem nicht hin, da es in einer Phantasiewelt verankert ist. Das ist auch nicht der Zweck unserer Diskussion, und der Vergleich mag für das gelten, was er wert ist. Meine Absicht ist eine Vorstellung davon zu geben, dass die äußeren Arbeitsbedingungen eines Problemkomponisten genau die gleichen wie die anderer Künstler sind, wenn man die ästhetischen und psychologischen Faktoren betrachtet.
Das Schachproblem ist gewiß eigenartig in seiner Offenbarungsform, aber leicht zu verstehen, wenn man seinen Zweck betrachtet. Das Charakteristische liegt in der Voraussetzung – dem Schachspiel. Die Problemkunst ist dadurch begrenzt, dass sie selten über das rein ästhetische Erlebnis hinaus gelangt, dass aber aus diesem Grunde um so raffinierter ist. Es ist in ihrer Art ein l’art pour l’art und muss als solche beurteilt werden. Man kann aber auch zu einem moralischen Aspekt kommen, wenn man das Verhältnis eines Problemisten zu seinem Problemschaffen studiert. Man sieht schnell, ob er etwas will, und auf welche Weise er seine Ambitionen entwickelt. Man erkennt sofort, ob es sich um Turnierstreber, oder tief originelle Naturen, oder um brillante, aber phantasielose Techniker, die sich auf schwierige Themata spezialisiert haben, handelt. Die Problemisten sind oft sehr verschieden voneinander, und es kommt vor, dass man schon aus der Diagrammstellung den Komponisten erkennen kann.
Das Material des Problemisten – die Schachfiguren ist sehr widerspenstig, aber die Erfahrung zeigt, dass man das Recht hat große Forderungen an die formelle Seite der Darstellung zu stellen. Zwei Problemisten greifen selten die selbe Idee auf die gleiche Weise an, wovon die sogenannten Thematurniere zeigen. Die kompositionelle Plastik ist weit größer, als man es sich überhaupt vorstellen kann, selbst in den meist komplizierten Zusammenhängen, und scheinbar unmögliche Ideen lassen sich gefügig behandeln.

Home weiter