3.Fortsetzung
Poesie auf einem Brett

Problemschach als ästhetischer Ausdruck
Bo Lindgren - Stockholm

Dass das Schachproblem mit seinen wirklichkeitsfremden Voraussetzungen diesem folgt, ist nur ganz natürlich. Jetzt wird man vielleicht einwenden, dass das Schachproblem auf jeden fall ganz schön abstrakt sei. Wenn es uns nicht gelingt, den Abstand hierzu aufrecht zu erhalten, ja. Aber das gilt ja im übrigen auch dem Leben. Es ist falsch zu sagen, dass die Kunst deshalb abstrakt geworden ist, weil sie im Lauf der Entwicklung den Bereich des Wirklichen ausgedehnt hat. Ihren Wert bekommt jede Einzelheit erst durch die Art und Weise wie sie zum ganzen Feld in Relation steht. Andererseits geschieht es mit regelmäßigen Abständen innerhalb der Kunst, innerhalb der Industrie und auf dem kleinen Gebiet das den Gegenstand unserer Untersuchung bildet, dass Neuheiten und neue Produkte als bedeutsam ausposaunt werden, nur deshalb weil sie neu sind.
Das Schachproblem soll nicht als eine Kombination aufgefaßt werden. Es ist eine Komposition und nur als solche ist es eine Kombination. Seinen Wert zu beurteilen ist eine Frage persönlicher Auffassung. Ist es erstaunlich, dass Chagall keinen größeren Enthusiasmus zeigte, als man ihn einen "literären" Maler nannte, als wenn dieses extra Epitheton den Wert seiner Bilder erhöhen sollte? Er ist Maler, sagt er, und nichts anderes als Maler. Das Schachproblem verbirgt auch keine Symbole, die Interpretationen außer seiner eigenen Wirklichkeit zulassen. Die Farbe und der Ton sind unmittelbare Realitäten für den Maler bzw. Musiker, sogar wenn die Musik und die Malerei ihre traditionellen Rahmen gesprengt haben. Das Schachproblem bekommt seine Veranschaulichung in der Umgestaltung einer abstrakten Welt, aus der es entwickelt wurde. – Und, um alles in der Welt, laßt uns nicht von der "Reinen Kunst" reden! Was dieser eigenartige Ausdruck auch bedeuten mag – in Bezug auf das Schachproblem scheint er nur zu verwirren.
Eine Tendenz bei der Problemkunst, Anregungen von anderen Kunstarten zu übernehmen gibt es nicht. Sie kann auch nicht die menschlichen Lebensbedingungen abspiegeln, zu einem Appell für die Freiheit aufflammen, oder eine politische Situation beleuchten. Sie befolgt ihre gegebenen Gesetze – die des Schachspiels – und erhält ihre Berechtigung dadurch, dass sie nie damit aufhört, die Phantasie zu locken. Wie gleichgültig ist das Material, wenn es der Schaffenslust gilt. In der Sage fährt der kleinste Junge in einem Backtrog über den See, um dem Riesen seine goldene Lampe zu stehlen.
Der bahnbrechende Name in der Geschichte der modernen Problemkunst ist August d’Orville. Er gab um 1840 in Deutschland eine sehr einheitliche Sammlung eigener Probleme heraus. Man weiß nicht viel von der Person d’Orvilles, nicht viel mehr, als dass er Deutscher war und seine Vorfahren aus Holland stammten. Er hat keine Aufzeichnungen hinterlassen, man findet aber den Kern seiner Gedanken über das Schachproblem als Kunstwerk in seinen Problemen wieder. Von ihm stammt das wichtige Gesetz der Ökonomie, das besagt, dass sich keine anderen Figuren auf dem Brett befinden dürfen ,als die, die eine Funktion erfüllen. Früher war die Aufmerksamkeit direkt auf den Mattzug gerichtet; d’Orville zeigt aber dass man sich statt dessen für die Art und Weise auf die er hervorgezwungen wird interessieren muss. Er interessiert sich auch für das Matt selbst, von dem er fordert, das es ästhetisch ansprechend sei. Was meint er damit? Studiert man seine Probleme, so sieht man, dass er konsequent niemals ein Feld um den schwarzen König (mit einigen Ausnahmen wird in einem Schachproblem stets der schwarze König matt gesetzt) mit mehr als einer weißen Figur gedeckt. Ein solches Matt wird als rein bezeichnet und ist für gewisse Typen von Schachproblemen Bedingung. D’Orville selbst hat keine Meisterwerke geschaffen. Seine Probleme sind nicht viel mehr als lehrreiche Schulbeispiele seiner Problemästhetik. Einiges von dem was d’Orville zeigte, gab es schon früher, aber von ihm wurden jene Anregungen gesammelt, die die Böhmische Schule einige Jahrzehnte später mit voller Kraft entwickelte. Damals wurden auch schon die Schachspalten, die Probleme brachten häufiger. Im Problemturnier des Deutschen Schachbundes 1883 errang der Schwede F. af Geijerstam den ersten Preis einer der frühesten schwedischen Erfolge in internationalem Zusammenhang.

Fritz af Geijerstam
Deutscher
Schachbund 1883
1. Preis








#3


Zu der Zeit ging die Entwicklung schnell voran, folgte aber getrennten Linien. Die Englische Schule, die einst leitend war bildet etwas, das man als Gentlemanschaft der Problemkunst bezeichnen könnte, weil die Engländer großen Wert auf die formelle Meisterschaft legen. Die Tschechen bilden einen Gegensatz zu den Engländern durch ihre Eleganz, ihre Leichtigkeit und die Ökonomie mit dem Figurenmaterial. Die Tschechen haben mehr Feingefühl dafür, dass die Komposition schwerfällig ist, als dass das Problem irgendeine Unvollkommenheit in der Konstruktion hat.

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