Vladimir Nabokov

In dem Buch Chess Problems "Introduction to an Art" von dem Triumvirat Michael Lipton, R.C.O. Matthews, John M. Rice bemerken die Autoren "Of course it is fun to compose chess problems. Few people would do it from a sense of duty . How and why is it fun? Nobody has described it better than Vladimir Nabokov, author of Lolita and occasional problemist, in his autobiographical work (Erinnerung, sprich Seite 392 - 401)

Im Laufe meiner zwanzig Emigrantenjahre verwandte ich eine Unmenge Zeit auf die Komposition von Schachproblemen. Auf dem Brett wird eine bestimmte Position ausgearbeitet, und die Aufgabe besteht darin, Schwarz in einer bestimmten Zahl von Zügen, im allgemeinen zwei oder drei, mattzusetzen. Es ist eine schöne, komplizierte und sterile Kunst, die mit der gewöhnlichen Form des Spiels nur in dem Maße zu tun hat, wie sich etwa ein Jongleur, der eine neue Nummer erarbeitet, oder ein Tennisspieler, der ein Turnier gewinnt, beide die spezifischen Eigenschaften einer Kugel zunutze machen. Die meisten Schachspieler, Amateure wie Meister, haben nur geringes Interesse an diesen VN auf Schmetterlingsjagdhochspezialisierten, phantasievollen und eleganten Rätseln und obwohl sie ein kniffliges Problem durchaus zu schätzen wüßten, wären sie völlig hilflos, wenn sie selber eins komponieren sollten.
Die Inspiration, die den Entwurf einer solchen Schachaufgabe begleitet, ist ein quasimusikalischer, quasipoetischer oder, um ganz genau zu sein, von poetisch-mathematischer Art. Häufig spürte ich in einem günstigen Augenblick mitten am Tag, am Rande irgendeiner trivialen Beschäftigung, im müßigen Gefolge eines flüchtigen Gedankens, wie ich vor lebhaftem geistigem Vergnügen zusammenzuckte, während sich unversehens die Knospe eines Schachproblems im meinem Kopf öffnete und mir eine Nacht der Mühsal und Glückseligkeit versprach. Vielleicht war es eine neue Art und Weise, einen ungewöhnlichen strategischen Kunstgriff mit einer ungewöhnlichen Verteidigung zu kombinieren; vielleicht war es ein seltsam stilisierter und darum unvollständiger Eindruck von der tatsächlichen Figurenstellung, die endlich und mit Humor und Anmut einen schwierigen Grundgedanken ausdrücken würde, an dem ich vorher gescheitert war; oder es war eine bloße Bewegung der verschiedenen, von Schachfiguren dargestellten Kräfteeinheiten im Nebel meines Gehirns - eine Art Pantomime, die neue Harmonien und neue Konflikte in Aussicht stellte; was es auch war, es war jedenfalls ein besonders anregendes Gefühl, und das einzige, was ich heute bedaure, ist, dass das besessene Hantieren mit geschnitzten Figuren oder ihren geistigen Gegenstücken während meiner überschwenglichsten und fruchtbarsten Jahre so viel Zeit verschlang, die ich besser auf sprachliche Abenteuer hätte verwenden können.
Die Fachleute unterscheiden mehrere Schulen der Problemkunst: die anglo-amerikanische, die genaue Konstruktion mit überraschenden inhaltlichen Mustern vereint und sich nicht an konventionellen Regeln hält; die wilde Pracht der neudeutschen Schule; die höchst vollendeten, aber unangenehm glatten und faden Produkte des Böhmischen Stils mit seiner strengen Beachtung gewisser künstlicher Bedingungen; die alten russischen Endspielstudien, die funkelnde Gipfel der Kunst erreichen, und das mechanische sowjetische Problem vom Task-Typ, das an Stelle von künstlerischer Strategie die Themen plump bis zum Rande ihrer Kapazität erweitert. Themen, sollte man hinzusetzen, sind beim Schachspiel etwa Kunstgriffe wie Weglenkung, Abfangen, Fesselung, Entfesselung und so weiter; aber nur wenn sie in einer bestimmten Art und Weise kombiniert werden, ist ein Schachproblem befriedigend. Täuschungsmanöver bis zur Grenze des Diabolischen und eine Originalität, die ans Groteske grenzte, waren mein strategisches Ideal, und obwohl ich versuchte an die klassischen Regeln wie Ökonomie, Einheitlichkeit und Beseitigung alles überflüssigen Materials zu halten, war ich jederzeit bereit, die Reinheit der Form den Erfordernissen eines phantastischen Inhalts zu opfern, so dass die Form sich auswölbte und platzte wie ein Waschbeutel, in dem ein kleiner wilder Kobold steckt.
Es ist nicht dasselbe, den Hauptgedanken eines Schachproblems zu ersinnen und es im Einzelnen zu konstruieren. Eine gewaltige geistige Anstrengung ist nötig; das Element der Zeit schwindet völlig aus dem Bewußtsein: Die Hand des Konstrukteurs langt nach einem Bauern im Kasten, schließt sich um ihn, während der Geist noch darüber nachdenkt, ob ein Zug pariert ein Loch gestopft werden muß, und wenn sich die Faust wieder öffnet, ist vielleicht eine geschlagene Stunde verstrichen, in der glühenden Gehirntätigkeir des Tüftlers zu Asche verbrannt. Das Schachbrett vor ihm ist ein Magnetfeld, ein System von Kräften und Abgründen, ein Sternenfirmament. Die Läufer streichen wie Scheinwerfer darüber hin. Dieser oder jener Springer ist ein Hebelarm, der angelegt  und ausprobiert wird, und noch einmal und besser angelegt, und noch einmal ausprobiert, bis die Aufgabe den Schachbrettschmetterlingnotwendigen Grad der Schönheit und Überraschung erreicht hat. Wie oft habe ich darum gerungen, die schreckliche Macht der weißen Königin so zu fesseln, dass es kein Mattdual geben könnte! Man muss sich darüber im klaren sein, dass der Kampf bei Schachproblemen nicht eigentlich zwischen Weiß und Schwarz stattfindet, sondern zwischen dem Problemautor und dem hypothetischen Löser (genau wie in einem erstklassigen Roman der wirkliche Zusammenstoß nicht zwischen den Figuren, sondern zwischen dem Verfasser und der Welt stattfindet), so dass der Wert eines Problems zu einem großen Teil von der Zahl der Versuche abhängt - täuschende Eröffnungen, falsche Fährten, trügerische Lösungswege, mit Scharfsinn und Liebe entworfen, um den Löser in die Irre zu führen. Doch was ich auch über diesen Gegenstand sage, es will mir nicht recht gelingen, das Vergnügen deutlich zu machen, welches der Kern dieses Vorgangs ist, seine Berührungspunkte mit verschiedenen anderen, offenkundigeren und produktiveren Tätigkeiten des schöpferischen Geistes, vom Kartographieren gefährlicher Meere bis zur Niederschrift eines jener unglaublichen Romane, bei denen sich der Autor in einem Anfall klarsichtigen Wahnsinns gewisse nur für ihn allein geltende Regeln gesetzt hat, an die er sich nun hält, gewisse alptraumhafte Hindernisse, die er jetzt überwindet, freudig wie eine Gottheit, die aus den unwahrscheinlichsten Bestandteilen eine lebende Welt errichtet - Felsen und Kohlenstoff und blinden Zuckungen. Mir der Komposition von Schachproblemen geht eine gelinde körperliche Befriedigung einher, besonders wenn die Figuren bei einer Generalpobe beginnen, den Traum des Verfassers angemessen zu verwirklichen. Man fühlt sich geborgen (ein Gefühl, das auf die Kindheit zurückgeht, auf das Planen von Spielen im Bett, wobei einzelne Spielzeugteile in die Winkel des Gehirns paßten); es gibt eine angenehme Art, eine Figur hinter einer anderen zu verstecken und mitten in der Sorglosigkeit und Wärme eines entlegenen Feldes aus dem Hinterhalt überfallen zu lassen; und man hat das Gefühl, es mit dem weichen Lauf einer gut geölten und glänzenden Maschine zu tun zu haben, die angenehm auf die Berührung zweier gespreizter Figuren reagiert, welche einen Stein sacht anheben und sacht wieder senken.

 

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