Die Sünde der Nonnen
Eine Klostersage
frei nach Fiske - Loyd in Verse gesetzt von Anton Trilling in Essen
(Essener Anzeiger 8/7/1922)
1.
Damianus, der große Kardinal,
ließ eine Schmähschrift durch die Lande fliegen,
die in den Klöstern von ganz Portugal
das Schachspiel sollt als eine Untat rügen.
2.
Unwürdig ist - so schrieb der weise Hirt
derart'ge Tändelei für fromme Nonnen;
wo immer Teufelspiel gehuldigt wird,
da wird sich bald des Spieles Teufel sonnen! -
3.
Jedoch ein Schmähbrief ist noch kein Verbot,
und keine Sünde ist's, ihn nicht zu lesen.
Drum blieb denn auch im Kloster Sankt Margot
das Schachspiel das, was es seither gewesen:
4.
Der frommen Schwestern liebstes Zeitvertun
sobald der Muße Ort und Stunde galten;
besonders eine mühte sich darum,
das alte Spiel in Blüte zu erhalten.
5.
Die jüngste war es, Schwester Monika,
die beste Spielerin im ganzen Kloster.
Von allen Nonnen kam ihr keine nah,
das Schachspiel war ihr zweites pater noster.
6.
Wohl hatte sie der Gegnerinnen viel,
doch keiner glückte es, ihr Matt zu sagen.
Jung wie ihr Leben, jung war auch ihr Spiel,
voll frischen Geistes, stürmisch und verschlagen.
7.
Da eines Tages, eine Partnerin-
just Martha ist's, die schläfrigste der Nonnen.
nach wen'gen Zügen schon stand auf Gewinn,
indem die weiße Dame sie gewonnen.
8.
Sie strahlt! Dagegen Schwester Monika
berührt das Schachbrett kaum mit ihren Augen.
seltsam beklommen sitzt sie heute da,
ihr junger Geist will nicht zum Spiele taugen.
9.
Sie denkt an einen lieblichen Roman,
der in der Kirche eines Tags begonnen.
Ein schöner Jüngling sah sie grüßend an
mit heißem Blick -! So war es denn gekommen,
10.
Daß sie, vergessend des Gelübdes Sinn
ihm Antwort gab, so oft er leise fragte,
ihm dankte, als er eines Abends kühn
mit einer lieben Gabe sie bedachte.
11.
Ein Körblein mit zwei roten Äpfeln,
das der Kecke von der Klostermauer reichte.
O Sünde! Daß sie einen davon aß
und nicht an Buße dachte und an Beichte!
12.
Ward doch verboten gerade diese Frucht
dem Kloster Sankt Margot wie jedem Orden.
Hat nicht der Satan selbst mit ihr versucht,
ist sündhaft nicht durch sie die Welt geworden?!
13.
Und - "Schach dem König!", ruft es drüben laut,
weckt Schwester Monika aus den Gedanken;
jedoch zu spät nun ist sie aufgetaut,
verloren ist das Spiel, da hilft kein Zanken.
14.
Und langsam eine Ahnung sie gewinnt:
Ein böser Teufel sei es, der sie treibe.
Und wie sie länger jetzt darüber sinnt
entdeckt sie dann den Teufel auch im Leibe.
15.
Der Apfel war es, der verbot'ne Biß
dess' böses Wirken ihre Spielkraft schnürte;
der Sünde Genius war es gewiß
der ihr Gehirn umwölkte und verwirrte.
16.
War das Vergehen wirklich denn so schlimm?
Wär' jede andere nicht auch erlegen?
Halt! Die Versuchung kommt ihr in den Sinn
vielleicht läßt Schwester Martha sich bewegen.
17.
Schnell zieht sie noch den König aus dem Schach,
entschuldigt sich für einige Sekunden.
Und rasch, wie sie verlassen das Gemach
hat sie sich dann auch wieder eingefunden.
18.
Mit einem goldnen Apfel in der Hand,
wie er nicht schöner wuchs im Paradiese;
wie Eva sündig einst vor Adam stand,
preist eine Nonne hier des Apfels Süße.
19.
Die andre staunt: "Wie kommt das hier ins Haus?"
Dann aber staunt sie ob der reifen Fülle.
"Das wär' wahrhaftig noch ein leckrer Schmaus!"
Da bot ihr Monika den Apfel stille.
20.
Und langsam wird auch Schwester Martha schwach.
Erst sagt sie nein, dann schwindet ihr Gewissen,
ein kurzes Zögern noch, ein seufzend Ach!
dann hat sie kräftig schon hineingebissen!
21.
Als restlos nun die süße Kost verspeist,
will sie um die Partie sich wieder mühen.
Doch seltsam! Dunkel plötzlich ist ihr Geist.
"Was wollte ich soeben denn noch ziehen?"
22.
Und siehe da, Unglaubliches geschah!
Anstatt nun Schwester Martha hätt' gewonnen,
hat mit dem dritten Zuge Monika
sie mattgesetzt! - Und wie ist das gekommen?"
Sam Loyd
Chess Monthly 1860
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